Frischzellenkur für die alte Tante SPD

Veröffentlicht am 25.04.2010 in Kreisverband

Der alte und neue Kreisvorsitzende will die Partei upgraden: „Die Jungen wollen nicht mehr hören, wie toll das damals alles war“

von Peter Wark
Backnanger Kreiszeitung v. 19.4. 2010

Der SPD-Kreisvorsitzende Jürgen Hestler will der Partei eine Frischzellenkur verordnen. Neudeutsch ausgedrückt: Die SPD braucht ein upgrade. Nicht bei jedem altgedienten Genossen stößt er mit dem Appell zur Erneuerung auf ungeteilte Begeisterung oder auch nur auf Verständnis, wie beim Kreisparteitag in Backnang deutlich wurde.

BACKNANG. Wahlen, Berichte, Anträge, und das dreieinhalb Stunden lang. Am Freitagabend beim Kreisparteitag im Bürgerhaus ist Basis-Parteiarbeit nach dem üblichen Muster zu erleben. Aber genau damit wird man immer unattraktiver für junge Leute und für andere sich neu entwickelnde gesellschaftliche Milieus. „Was machen wir?“, lautet die rhetorische Frage von Hestler. Der Vormann der SPD im Kreis gibt selbst die Antwort. „Wir machen Versammlungen mit Einladungsfristen, mit einer festen Tagesordnung, genehmigen das Protokoll, stellen Anträge und glauben so die Welt retten zu können!“. Mit diesen Strukturen, da ist sich Hestler sicher, gewinnt man als Partei keinen Blumentopf mehr.
„Das ist nicht mehr die Welt der jungen Leute“, sagt er. Der Blick in den Saal mag das untermauern. Ein paar Jusos sind da, natürlich, aber das Durchschnittsalter an diesem Abend liegt deutlich jenseits der Fünfzig.
Junge Leute diskutieren nicht mehr am Stammtisch über die Politik, sagt Hestler, sie twittern. Willy Brandt, für viele im Saal vermutlich die sozialdemokratische Ikone überhaupt, hat vor vier Jahrzehnten regiert. „Für die Jungen ist das längst Geschichte“, weiß der Kreisvorsitzende, der als Lehrer täglich mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu tun hat. Die Alt-Achtundsechziger, von denen heute noch eine ganze Menge auch im Kreis für die SPD stehen? Lange her. „Die Jungen wollen nicht mehr hören, wie toll das damals alles war“.
Jürgen Hestler empfiehlt seiner Partei dringend eine Modernisierung nach innen und nach außen. Seinen Rechenschaftsbericht hat er überschrieben „Die SPD upgraden“.
Die Gesellschaft wandelt sich radikal, die Welt hat sich verändert – nur, so die Botschaft, die SPD ist noch lange nicht in dieser veränderten Welt angekommen. Neue Lebensstile entwickeln sich. „Das Lebensgefühl ist ein völlig anderes.“ Hestler projiziert ein Foto an die Wand, in dem die Ergebnisse einer Sinusstudie zu Veränderungen der Lebensmilieus dargestellt werden. Mancher im Saal wird erstmals damit konfrontiert und tut sich wohl auch schwer damit, wie in der anschließenden Aussprache deutlich wird. Die bürgerliche Mitte ist nur noch eines von vielen Lebensmilieus; eines mit abnehmender Bedeutung. „Moderne Performer scheren sich nicht mehr um links und rechts“, sagt Jürgen Hestler, dann sarkastisch: „moderne Menschen wählen die FDP oder die Piratenpartei“.
Die SPD habe vordergründig die Wahl: Entweder die alten Zeiten beschwören oder upgraden. Nach Hestlers Überzeugung ist eine Anpassung an die modernen Erfordernisse der einzige mögliche Weg. Das heißt, neue Strukturen nach innen zu schaffen, eine neues Auftreten nach außen an den Tag zu legen. Das bedeute auch, die Neuen Medien viel intensiver zu nutzen, interaktive Veranstaltungsformen anbieten.
Die SPD selbst, so der Mann aus dem Weissacher Tal, ist heute kein Medienevent mehr. Es gelte auch, die eigene Organisation zu überdenken. Zugleich müsse man sich wieder viel mehr auf die eigenen Stärken als Mitgliederpartei besinnen, forderte er.
Natürlich haben die Sozialdemokraten das bessere Programm und die besseren Inhalte, sagt Hestler: „Aber wir leben in einer Mediengesellschaft. Und in einer Mediengesellschaft braucht jede Botschaft ein Symbol.“ Es sei der SPD nicht gelungen, ihre Themen ausreichend in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken: „Andere machen das besser“, weiß er.
„Ich leide darunter, dass wir es nicht geschafft haben, den Blick auf die wirklichen Ungerechtigkeiten zu richten.“ Zu leiden hat ein Sozialdemokrat viel in diesen Zeiten. Hestler nennt gleich ein Dutzend Anlässe für dieses Leiden. „Ich leide, wenn ich fast täglich erkennen muss, dass die SPD bei der Jugend massiv an Attraktivität verloren hat. Ich leide, wenn Umfragen mir sagen, dass die SPD mit keinem emotionalen Wert wie Zukunft oder Geborgenheit mehr verbunden wird. Ich leide, wenn die SPD offenbar nicht mehr den Nerv der Leute trifft. Ich leide darunter, dass eine rein symbolische Politik offensichtlich erfolgreicher ist als der tief greifende politische Diskurs.“ Und: „Ich leide, wenn die Sprechmaschine Westerwelle mit einigem Erfolg die Leute verarschen kann.“
Der Hieb gegen Westerwelle kommt an. Mit seinen Anstößen aber mutet der alte und neue Kreisvorsitzende manchem Genossen einiges zu. Das wird in den anschließenden Wortbeiträgen deutlich. Die Bewahrer des Status quo melden sich zu Wort und die, die Hestlers Aussagen Skepsis entgegen zu setzen haben. „Das Internet ist nicht alles“, heißt es da beispielsweise. Oder: es sei im übertragenen Sinn „eine Diskussion zwischen Wein und Schlauch“. Letztlich komme es auf den Wein an, also auf Programm und Inhalte und nicht auf die Verpackung.
Dass nicht alle sich so ohne weiteres mit seinem Appell zur Erneuerung anfreunden können, hatte Jürgen Hestler bereits vorausgeahnt. „Mir ist schon klar, dass nicht jeder von uns upgrademäßig begeistert ist.“ So steht es schon vorab in seinem Redemanuskript. Dass es dann tatsächlich so ist, „das sehe ich in manchen Gesichtern“, schiebt er am Schluss seines Berichtes nach.

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